Editorial

Vor 50 Jahren, im Jahr 1964, nahm Helmut Coing den Ruf als Gründungsdirektor an das bereits seit langer Zeit geplante Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte an; in der Max-Planck-Gesellschaft wird eine solche Rufannahme üblicherweise als die Geburtsstunde eines Instituts angesehen. Seit den Tagen Helmut Coings hat sich die europäische Rechtsgeschichte zu einem lebendigen Feld der Forschung transnationaler Rechtsgeschichte entwickelt. Das Institut war ein wichtiger Teil und Motor dieser Bewegung. Ein halbes Jahrhundert später können wir nicht nur auf dieser Tradition aufbauen, ihre Einsichten und Ergebnisse nutzen, ihre Grenzen zu überwinden und um globale Perspektiven zu ergänzen versuchen. Wir tun dies nun vielmehr auch in einer gänzlich neuen Umgebung, nämlich unserem neuen Institutsgebäude, das seinen Sitz an der Südostspitze des Campus Westend der Goethe Universität im Herzen von Frankfurt hat. Aufmerksame Leserinnen und Leser der Rg mögen den Umbau unserer Forschungsaktivitäten insbesondere mit dem Heft 20 (2012) der Zeitschrift verfolgt und in der gedruckten Version von Heft 21 (2013) auch einige Fotos gesehen haben, die den Schwerpunkt zu ›Taufe und Recht‹ und das Forum ›Law and Revolution – revisited‹ begleiteten: Bilder von der Umordnung des Wissens anlässlich unseres Umzugs.

Die Einweihung des neuen Institutsgebäudes im September 2013 war eine willkommene Gelegenheit, um Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Disziplinen und Forschungsbereichen dazu einzuladen, unsere Ideen zu diskutieren und ihre eigenen Überlegungen zur Notwendigkeit der Öffnung unserer Forschung für globale Perspektiven und damit auch für andere Formen der Normativität vorzustellen. Wir taten dies auf einer Tagung mit dem Titel European Normativity – Global Historical Perspectives. Die meisten der in diesem Heft im Fokus abgedruckten Beiträge wurden auf dieser Tagung vorgestellt und diskutiert, einige weitere Aufsätze haben wir hinzugefügt, weil sie uns wichtige Perspektiven auf Forschungsgebiete zu erschließen schienen, die, wie zum Beispiel die chinesische Rechtsgeschichte und ihre komplexe Beziehung zu den westlichen Traditionen, auf der Tagung nicht repräsentiert waren. Auf diese Weise geben die Beiträge in diesem Heft einen Überblick über sehr unterschiedliche methodologische und konzeptionelle Überlegungen sowie eine Reihe von Fallstudien zu den Verflechtungsprozessen zwischen normativen Ordnungen, die uns lange Zeit als weitgehend getrennt erschienen.

Die Tatsache, dass wir, vor allem im 19. und 20. Jahrhundert, nicht mehr in getrennten Welten, sondern in einer intensiv miteinander verbundenen Weltordnung lebten, nicht zuletzt durch den Kolonialismus, wird von den Illustrationen in diesem Heft verdeutlicht: einer kleinen Sammlung von Briefmarken, die durch die Welt reisten, Nachrichten, Bilder und Ideen von einem Ort zum nächsten beförderten. Auch in der Kritik haben wir uns auf wichtige Publikationen aus dem Bereich der Transnationalen Rechtsgeschichte konzentriert, und wir sind sehr froh, dass wir damit eine Reihe von ausführlichen Überlegungen zu dieser lebendigen internationalen Forschung zur Transnationalen Rechtsgeschichte publizieren können.

Doch auch eine auf transnationale Rechtsgeschichte und damit ihre eigene Transnationalisierung zielende Wissenschaft konstituiert sich aus ihren meist nationalen Traditionen. Wir müssen deswegen diese eigenen Traditionen kennen, sie auch pflegen, nach ihrem Ort in der sich herausbildenden transnationalen Arena fragen und sie nicht zuletzt unseren Kolleginnen und Kollegen aus anderen Traditionen erläutern. Aus diesem Grund wird im einleitenden Artikel dieses Hefts ein Überblick über einige analytische Traditionen unserer Disziplin von einer dezidiert deutschen Perspektive aus versucht. Besondere Aufmerksamkeit beanspruchen dabei die grundlegenden Veränderungen im deutschen Wissenschafts- und Rechtssystem während der letzten 25 Jahre sowie die Herausforderung, die sich aus diesen Veränderungen ergeben. Diese Selbstbeobachtung versucht umzusetzen, was die wissenschaftshistorische Forschung während der letzten Jahrzehnte immer deutlicher herausgearbeitet hat: dass nämlich die Bedingungen der Wissensproduktion unweigerlich von besonderer Bedeutung für die Inhalte sind, in unserem Fall also für unser Bild auf die Rechtsgeschichte. |

Ein Ergebnis des Überblicks liegt darin, dass gerade die Transnationalisierung von Recht und Rechtswissenschaft unserer Disziplin faszinierende Perspektiven eröffnet. Der 50. Geburtstag des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte, aber auch der 100. Geburtstag der Frankfurter Goethe Universität, den diese ebenfalls im Jahr 2014 feiert, luden zu einem solchen Rückblick auf ein Jahrhundert rechtshistorischer Forschung in Deutschland – und einem Ausblick auf mögliche Perspektiven ein.

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